Film

Sauerbruch Hutton Architekten
von Harun Farocki
DE 2013 | 73 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 37
07.11.2013

Diskussion
Podium: Harun Farocki
Moderation: Peter Ott
Protokoll: Alexander Scholz

Synopse

Wie arbeitet ein internationales Architekturbüro, das sich in den höchsten Sphären ästhetischer Gestaltung bewegt? In Wettbewerbs-, Planungs- und Realisierungsphase müssen Ideen immer wieder abgewägt, hinterfragt, modifiziert, präsentiert werden; Aushandlungsprozesse und Sprechhierarchien. Am Ende die Frage: „Do we like it?“

Protokoll

Der Stil seiner Dokumentation soll der guten gesprochenen, nicht der geschriebenen Rede ähneln, sagt Harun Farocki. Ein gelungener Dialog nämlich halte, wie die Visualisierungen der Ideen seiner Protagonisten, alles im Abstrakten, Imaginären, Abwesenden. Tatsächlich präsent sind beim Gedankenaustausch nur die ständigen Bewegungen der Beteiligten, die neue Perspektiven auf ihre Arbeiten gewinnen wollen. Sauerbruch Hutton Architekten ist der Versuch, diese Choreographie der Kreativität zu filmen. In den weitläufigen Büros der Architekten gerate diese Absicht zu einem kubistischen Versuch. Allein die minutiöse manuelle Arbeit kann problemlos in einem Bild eingefangen werden, das sodann die konkrete Arbeit an der Veranschaulichung einer Idee als ein wahrhaftes Auslegen expliziert. So wie die Entwürfe und Projekte der Architekten immer im Fluss sind, nehmen auch ihre Schöpfer immer neue räumliche Positionen zu ihnen ein. Das Modell eines Stuhls muss erst mehrmals umrundet werden, bevor darauf Platz genommen werden kann.

Diese Form der Mobilität zu filmen, mit der Bewegung der Kamera die Bewegung und allmähliche Verfertigung der Gedanken einzufangen, stellt für Dokumentarfilmer eine Herausforderung dar. Dem fehle eben die geschriebene Rede, die vorgibt, was am Ende des Dialogs wichtig sein wird. Möglicherweise löst Farocki dieses Problem im nächsten Jahr. Bis dahin muss das Publikum trotz Direct Cinema und neuerlich verwandten 16:9 Formats – Anachronist könne man höchstens noch in Duisburg sein – mit asemantischen Kameraschwenks leben, die der bloß scheinbaren Kontingenz der Entscheidungsfindung im Architekturbüro Sauerbruch Hutton folgen. Trotz des Anspruches der präzisen Abbildung lebt das dokumentarische Arbeiten ähnlich wie der Workflow der Architekten von einer angenehmen Voraussetzungslosigkeit.

Bei Sauerbruch Hutton werden mit großem handwerklichen Aufwand Bilder und Modelle produziert, die einmal Wirklichkeit werden sollen. Hände schneiden, falten, biegen. Sodann findet die gravitätische Ausstellung der mit Liebe und Sorgfalt handgefertigten Realitätsvorlagen statt. Während dieser Schau wird das ikonische Modell so lange mit einer polyglotten Kunstsprache malträtiert, bis klar ist, dass es nicht allein auf diese Worte, sondern vielmehr auf den Ort derselben im Raum des Dialogs ankommt. Farocki erinnert diese Strategie an die exzessiven Beschreibungen im Nouveau Roman, bei deren Lektüre man sich bald mehr an die Oberfläche des Textes als an die der Dinge verwiesen fühlt. Auch Sauerbruch Hutton Architekten zeigt das Abarbeiten an der äußeren Hülle, während deren verschiedene Hüllen oder Masken im Mittelpunkt stehen können. Peter Ott bemerkt in diesem Zusammenhang beispielsweise, dass nicht nur die Modelle der Architekten auf kleinen Bühnen präsentiert würden, sondern dass einige Szenen eine Koordination vielschichtiger Inszenierungsstrategien bieten.

Inwiefern diese wechselseitigen Inszenierungen und die Diskussionskultur in dem Büro hierarchisch und patriarchal geprägt sind, wird kontrovers diskutiert. Louisa Hutton und Matthias Sauerbruch als Königspaar mit neoliberalen blauem Blut. Sauerbruch als führender Patron, der die jungen Frauen dirigiert, während Hutton zugeknüpft Farben aussuche. Das Architekturbüro als Ort der Schöpfung trivialer Werke, die erst der eigenen und dann der filmischen Inszenierung bedürfen, um für sich Relevanz beanspruchen zu können. Die Protagonisten als geniehafte Schöpfer der Leerlaufwelten. Harun Farocki allerdings sieht unter dem Hinweis, was er dazu meine, sei doch eigentlich egal, das Konfliktöse, nach dem er durchaus gefahndet habe, in seinem Film offenbar weniger repräsentiert, als es diese Wortmeldungen für das Publikum vermuten lassen. Auch er sei zwar seinen Vorbildern bei RTL 7 gefolgt und habe nach Reibungen in dem Unternehmen gesucht, habe aber Szenen wie aus französischen Spielfilmen vorgefunden, und sei in Versuchung geraten, diese mit einem Bossa Nova zu unterlegen. Er teilt die Verwunderung darüber, dass sich der Tonfall in dem Büro kaum verändert, wenn statt von Kachelmustern von Millionenprojekten gesprochen wird. Dem Eindruck, außer Geld und Prestige müssten noch andere Kräfte für die unheimliche niedrige Normalspannung in dem Unternehmen verantwortlich sein, können sich viele Diskutanten nicht entziehen. Dass Sauerbruch vom Vorschlagen spricht, wenn er Anweisungen gibt und dass er gelegentlich „Do we like it?“ fragt, wenn er „I like it!“ zu meinen scheint erzeugt bei vielen den Eindruck eines Abgrundes, der mitten in der scheinbaren Idylle klaffen müsse.

Die Frage, ob die Architekten und ihre Werke der Inszenierung durch ein allzu grelles Kolorit bedürfen, verweist derweil auf eine im Kinosaal laut belachte Szene. Louisa Hutton steht mit ihren Kollegen vor einem neuen Gebäude der Potsdamer Universität und verhandelt händeringend mit Vertretern der Bauherren. Wieder stellt sich heraus, wie fragil die einmal vorsichtig formulierten Entscheidungen der Architekten sind. Genauso wie Till Brockmann, sieht Farocki deshalb den Geniebegriff nicht als passende Kategorie, das Schaffen der Architekten zu beschreiben. Viel zu unsicher seien die Befunde der Handelnden, deren Kreativität nicht aus einer mysteriösen Anlage resultiere, sondern das Ergebnis eines langwierigen Auswahlprozesses sei. Beim Erstellen eines Modells wird ein junger Architekt dazu angehalten, jede Veränderung daran photographisch festzuhalten. Solche Szenen bieten Farocki die Chance, „work in progress“ zu filmen, ohne das Ergebnis zeigen zu müssen oder aufgrund der Dauer des Filmprojektes überhaupt zeigen zu können. Es wird über die Greifbarkeit und Körperlichkeit von Baustoffen gesprochen, ohne tatsächlich etwas zu fixieren. Der Geist oszilliert möglichst lange zwischen den Ideen, ohne festgeschrieben zu werden – eine Arbeitsweise, die Farocki deshalb anregt, weil er selbst viel rigider und weniger intuitiv als seine Protagonisten vorgehe.

Die Sogwirkung dieses Denkens in Vorläufigkeiten und Mustern sowie das Schichten von Ideen und transparentem Papier wird in Sauerbruch Hutton Architekten immer wieder durch die Praxis eingeholt, die in Form von tatsächlichen Gebäuden, Bauherren und Budgetvorgaben in die Imaginationsfabrik einbricht. Selbst an den nahezu fertigen Bauten wird mit Proben, Beispielen und Verweisen auf größere Ideen gearbeitet. Wieder fehlt das Skript, das etwas endgültig fixiert hätte. Die mediale Suche nach dem Wirklichen, auf die sich der Film begibt, stößt auf einen labilen Entwurf von Wirklichkeit.

Postskriptum:

Die Frage, ob es mit seiner Reputation und der regen Rezeption seines Werkes zu tun habe, dass er für eine solche Suche Geld von einem Fernsehsender erhalte, beantwortet Farocki wehmütig. Viele großartige Dokumentationen – selbstredend auch solche, die in Duisburg zu sehen sind – würden nicht von den Sendern gefördert, er selbst könne auch lediglich aus einer verbliebenen Quelle für Förderung schöpfen.